Das vergangene Wochenende stand ganz im Zeichen der Astronomie. Bevor am Samstag (21.03.2015) der Tag der Astronomie begangen wurde, hatten Interessierte die seltene Gelegenheit, eine partielle Sonnenfinsternis über Deutschland zu beobachten. Allerdings nur, wenn sie nicht von ihren Eltern und Lehrern behutsam weggesperrt wurden. Aus gegebenen Anlass daher ein paar späte Worte zum Sinn und Unsinn von Belehrungen, Panik, Medien und Wissenschaft, zusammen serviert in einem trüben Cocktail der Unwissenheit.
Verunsicherung & Unwissenheit und deren Folgen
Wenn man der Berichterstattung vor der Sonnenfinsternis vom 20. März nur oberflächlich folgt, könnte man auf den Gedanken kommen, dass die Strahlung der Sonne scheinbar nur während einer Sonnenfinsternis gefährlich ist. Auf diese Frage von einem Schüler angesprochen, wusste sich eine junge Deutschlehrerin immerhin zu helfen:
Da solltest du besser mal einen Physiklehrer fragen.
Dabei können wir uns scheinbar glücklich schätzen, dass wir 2015 nur eine partielle Sonnenfinsternis beobachten konnten. Gar nicht vorzustellen, was Medien und Angsthaber erst bei einer vollständigen Sonnenfinsternis berichten würden. Richtig ist, dass beim direkten Blick auf die Sonne die Netzhaut des Betrachters in kurzer Zeit beschädigt werden kann und Spätfolgen nicht auszuschließen sind. Diese Gefahr besteht jeden Tag, aber normalerweise schauen wir nun einmal nicht ständig auf Sonne und zum Glück liegen unsere Schulhöfe nicht auf Gletschern. Unwissen und große, angsteinflößende Schlagzeilen tragen allerdings dazu bei, dass zur Sonnenfinsternis die verrücktesten Dinge passieren und sich dank neuer Medien schnell verbreiten. Über Verbote, den Schulhof während der Sonnenfinsternis zu nutzen berichtete sogar die BILD, obwohl eine Mitschuld nicht auszuschließen ist. Exzessives Belehren und Sonderbriefe des Kultusministeriums waren da die angenehmeren Folgen.
Da ist es gut, dass es den Physikunterricht und gesunden Menschenverstand noch gibt – jedenfalls in Einzelfällen.
Für ebendiese und alle anderen gibt es Ranga Yogeshwar, denn der beschreibt in einem Post bei Facebook. In seiner ihm eigenen Art greift er dabei die geläufigsten Horrorszenarien auf.
Unsere Medien warnen so sehr, dass die Sonnenfinsternis zur herannahenden Bedrohung wird. Schade!
Dabei greift Yogeshwar auch die Angst der Smartphone-Besitzer auf, ihre teuren Geräte könnten beim wichtigen SoFi-Selfie beschädigt werden auf.
[Das] Handy besitzt die Linse eine Fläche von etwa 1 Quadratmillimeter. Die Sonne schenkt uns rund 1000 Watt pro Quadratmeter. Oder 0,001 Watt pro Quadratmillimeter. In anderen Worten, die Lichtleistung, die auf den Chip des Handys fällt beträgt schlappe 0,001 Watt.
Welche Leistung gebündeltes Sonnenlicht hat, musste allerdings unser Zielfernrohr erfahren. Dieses war versehentlich noch ohne Schutzkappe vom Vorabend und hat beim Vorbeifahren an der Sonne eine schützende Schaumstoffschicht um den Sensor eingebüßt. Immerhin blieb der CCD-Sensor unversehrt.
Wann ist die nächste Sonnenfinsternis? Heute Abend!
Trotz aller Sorgen und Ängste konnten wir in der Sternwarte unserer Schule an diesem Tag immerhin fast 400 Schüler und interessierte Erwachsene an vier verschiedenen Stationen eine Beobachtung ermöglichen. Die Versorgungslücke von Schutzbrillen konnten wir leider nicht schließen, immerhin erreichten uns 5 der verwendeten 12 Brillen wieder. Das Interesse war groß und zeitweise versammelten sich 150 Menschen auf der schulnahen Wiese. Gleichermaßen gestalteten viele weitere Schulen den Tag mit attraktiven Angeboten und machten eine Beobachtung, nach einer kurzen Belehrung der Schüler, möglich und verschlossen sich nicht vor dieser Chance.
Immerhin führt so eine Sonnenfinsternis aber auch dazu, dass sich viele Schüler, womöglich ungewollt, mit Physik beschäftigen. Aus Mangel an Schutzbrillen entstehen Lochkameras oder werden Ferngläser zur Projektion genutzt. Außerdem entwickelten unsere Schüler ungeahnte Kreativität beim Fotografieren der SoFi mit Spezialfiltern, Folien und Polarisationsfiltern.
Während einige Schulen also den Ausgang verbieten, Räume verdunkeln und sich dabei einer Realität und Chance verschließen, konnten wir die tolle Erfahrung machen, wie sehr die Beobachtung eines solchen Naturerlebnisses Kinder und Jugendliche vom Kindergartenalter bis zur Sekundarstufe II begeistern kann.
Zwar sind echte Erklärungskünste gefragt, wenn es darum geht Vorschülern klar zu machen, dass bei einer Sonnenfinsternis nicht Krümelmonster am Werk ist. Eine unerwartete Antwort auf eine schwierige Frage in diesem Alter war die Folgende:
Erzieher: Wisst ihr denn, wann die nächste Sonnenfinsternis ist?
Mädchen: Heute Abend!
Zwar sind auch einige Schüler nach dem zweiten Blick ins Teleskop gelangweilt, weil sie feststellen, dass dann ja doch immer wieder ähnliche Bilder zu sehen sind – andererseits bemerken Schüler, dass es beim Blick durch das Teleskop „ja genauso aussieht, wie in unserem Lehrbuch“ bzw. sogar besser als Fernsehen sei.
Gelungener Umgang mit Naturphänomenen an Schulen
Von den Horrorgeschichten, die in vielen Medien kursierten, hat es mir eine aber ganz besonders angetan. Aus dem schönen Leipzig sendete Brisant (MDR): Eisbär greift SoFi-Tourist auf Spitzbergen an
Eine schöne Zusammenfassung der Ereignisse rund um die Sonnenfinsternis liefert der Kollege Herr Rau.
Idee Masterarbeit: „Der Umgang der Schulen mit der Sonnenfinsternis 2015 im Spannungsfeld von Unwissen, Aberglauben und Rechtsabteilung.“
— Thomas Rau (@Herr_Rau) 21. März 2015
Wir sollten uns unsere kollektive paranoide Grundhaltung durchaus einmal bewusst machen und darauf angemessen reagieren. Im Umgang mit den Möglichkeiten einer Sonnenfinsternis, die kein Klassenzimmer jemals bieten kann, wäre es besser ordentlich zu belehren, gebotene Chancen zu nutzen und auch die Kommunikation im Kollegium anzuregen. Eine wichtige Säule sind dabei Angebote der Fachlehrer, damit diese einmalige Chance nicht vergeben wird. Denn wenn wir aus Unwissenheit und Sorge bereits hier die Scheuklappen aufsetzen und die Schüler lieber im Klassenzimmer schmoren lassen, brauchen wir erst Recht keine Experimente im Unterricht durchführen oder Bezüge zum Schüleralltag herstellen.
Vielen Dank an meinen Kollegen aus Studienzeiten M. Kleinsteuber für das Bereitstellen der Aufnahmen!
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